Samstag, 15. September 2012

Es ist traurig, was die Krankheit(en) mit einem anstellen.
Und alles fängt mit einem kritischen Blick in den Spiegel an, geht über mit Wünschen und Vorbildern.
Man versucht, weniger Süßes und Fettiges zu essen.
Bei MC Donalds isst man vielleicht nur noch ein paar Pommes und Chicken bei seinen Freunden mit.
Man fängt an, Sport zu machen.

Irgendwann wird einem das Abnehmen zu langsam.
Man verzichtet auf mehr, trinkt viele Light-Getränke, denn man weiß ja nun, wie viel bei was drin ist.
Essen mit Freunden wird kristischer. Entweder man sagt, man hätte schon gegessen, man hat keinen Hunger oder Bauchweh.
Aber wer glaubt das schon? Essen kann man doch immer! Egal, ob man Hunger hat oder nicht.
Man beschränkt sich auf höchstens drei Mahlzeiten am Tag, nicht mehr.
Vielleicht lässt man aber dann doch mal eine ausversehen ausfallen.
Die Sportstunden werden immer mehr und mehr.
Doch das Gewicht bleibt gleich oder geht nur langsam weiter nach unten, weil man immer mehr Muskeln aufbaut.

Man fühlt sich als Versager, fragt sich, warum man nicht einfach kurz ein paar Kilos verlieren kann.
Jetzt isst man kritischer.
Kalorientabellen kann man längst auswendig herunter rattern, Lebensmittel kann man schon fast mit der Hand und den Augen abwiegen.
Alles kein Problem.
Wenn man mittags mit Freunden in die Stadt geht, hat man schon gegessen oder ist soooooo voll von dem rießigen Mittagessen von Oma oder Mama.
Wenn sie aber dann später doch zu MC Donalds gehen, steht man vor den großen Tafeln mit den vielen Angeboten. Alles erscheint einem so lecker, aber man darf nicht schwach werden. Nein, nein, nein!
Man nimmt einen Gartensalat, lässt das Dressing unauffällig im Müll verschwinden.
Oder vielleicht doch nur eine Cola light?

Irgendwann ist man zu schwach, um Sport zu machen.
Beim Aufstehen wird einem schwindelig, einem wird sehr schnell kalt, man zittert am ganzen Körper. Aber was solls?
Frieren verbrennt ja schließlich Kalorien!!!
Beim Kämmen fallen einem die Büschel Haare in seiner Bürste auf, dafür wachsen aber schwarze, dichte Haare an den Armen, am Rücken oder am Nacken.
Man isst so gut wie nichts mehr, aber wenn man dann doch mal alleine zu Hause ist, lockt der Kühlschrank.
Es gibt zwei Möglichkeiten.
Entweder man fastet weiter oder man isst.
Wenn man gegessen hat, gibt es wiederum zwei Möglichkeiten.
Entweder man flüchtet ins Bad oder macht übertrieben viel Sport.
Danach fühlt man sich fett, undiszipliniert, allein gelassen, unverstanden, eklig, unnormal, unmenschlich?

Auf einmal machen sich alle Sorgen.
"Du bist ja so dünn geworden!"
"Ist denn alles okay?"
"Geht es dir gut?"
"Nein, mir geht es nicht gut! Ich bin ein fettes, undiszipliertes und ungeliebtes Waalross! Ich kann rein gar nichts, und jetzt lasst mich mit euren dummen Fragen in Ruhe, ihr lügt doch sowieso nur!"

Man wird schwacher und schwacher, kann nicht mehr so lange Sport treiben wie früher. Darum fühlt man sich wieder wie der größte Versager.
Man nimmt nicht mehr am Sozialleben teil, bleibt zu Hause.
Mit Freunden in die Stadt?
Nein, sie könnten doch wieder zu MC Donalds wollen!!!
Zu Freunden oder Familienmitglieder auf einen Geburtstag?
Nein, da gibt es doch Kuchen und Muffins!!!
Mit dem Schwarm oder dem Freund ins Kino?
Nein, da gibt es doch lauter Sachen, die ich nicht essen darf!!!
Mit der Familie gemütlich zum Essen in ein feines Restaurant?
Nein, die wollen mich doch nur mästen!!!

Auf einmal besteht die Familie auf gemeinsame Mahlzeiten, vielleicht stellt einem die Mutter einen vollgeschöpften Teller vor die Nase oder kocht die früheren Lieblingsgerichte.
In dieser Zeit wird man Meister im Lügen erfinden und Verstecken spielen.
Irgendwie kriegt man es hin, das Essen wegzuschmeißen oder sich davor zu drücken.
Aber irgendwann kommt man nicht mehr darum, man deckt die ganzen Lügen auf und findet alle Verstecke.
Dann kommt die schwerste Zeit.

Jetzt hat man alles selbst in der Hand.
Wird man selbst gesund, schafft man es zu Hause in der gewohnten Umgebung mit Hilfe von Therapeuten, der Familie und Freunden?
Oder wäre es besser weit, weit weg in einer Spezial-Klinik?
Irgendwas muss man wählen, denn inzwischen geht es einem mehr als dreckig.
Man wird allein von der Krankheit gelenkt, hat keine eigene Ausstrahlung mehr, keine eigene Meinung, findet keinen Lebenssinn mehr.
Man verliert sein Lachen und den Spaß am Leben.
Doch das merkt man in dieser Zeit nicht. Man fühlt sich mit jeden verdammten abgenommenen Kilo dicker und dicker.
Man schaut in den Spiegel und hasst sich jeden Tag mehr.
Man sieht nicht die eingefallenen Wangen, die hervorstehenden Schlüsselbeinknochen, die dünnen Ärmchen, die spitzen, deutlich erkennbaren Beckenknochen und auch nicht die Streichholzbeinchen.

Und willst du das wirklich?
Willst du wirklich Anna deine Hand reichen?
Ihr die Macht über dich und deine Laune geben?
Willst du nie mehr lachen und unbeschwert sein können?
Dich frei und glücklich fühlen?
Willst du wirklich wie ein gesteuerter Roboter durch die Welt laufen?
Durch diese schöne, erlebnisvolle Welt?






 σder ωιℓℓѕt dυ ƒreι ѕeιn υnd ℓeben?

2 Kommentare:

  1. ein ganz grossartiger text. er bringt die (entstehungs-)geschichte sehr allgemein und für jeden betroffenen sehr authentisch zeile für zeile auf den punkt.
    ein paar anmerkungen fielen mir dennoch auf:
    "Vielleicht lässt man aber dann doch mal eine ausversehen ausfallen." - oder zwei, oder doch drei, nein, also jezz aber spass vorbei und kritisch, respektvoller umgang:
    ich hatte schon in der krankheit das gefühl frei zu sein! ja, es mag die selbstverzerrende wahrnehmung sein, aber irgendetwas muss in einem sein, das einem über die einem übrig gebliebe vernuft, freiheit und unbeschwertheit verschafft, wenigstens vermittelt. sodann man die präferenz hat sein verhalten nicht zu ändern bzw. sich immer weiter treiben zu lassen. es is also vll vielmehr ein reziprokes verhältnis zwischen scheinbarer leichtigkeit in (s)einer eigenen welt und kontrollzwängen, die das leben einengen. aber iwie lebt man nicht mehr, ja, das spürt man. das weiß man sogar. aber - und da komme ich nochmal zur vernuft - ansonsten läuft ja das alltägliche leben mehr oder weniger gut weiter, viel zu gut, als das man eine gefahr erkennen würde. lernen klappt ohne einschränkungen. sport wird immer enger, ja. aber man kann sich eben (zu) gut durchmogeln. und ich neige mitlerweile dazu die betonung nicht auf das "mager" sondern auf das "sucht" zu lenken. man muss den zustand mit jeder anderen sucht vergleichen. ein rauschzustand. um in deinem blogbild zu bleiben 'dauerglückszustand', der nämlich des gewinnens. ja, wenigstens gegen den eigenen körper gewinnen. im prinzip der tägliche kampf für den teufel in einem. erst wenn man wieder die eigene katharsis durchschritten hat, mit wahren augen sieht, beginnt man wieder für den engel in einem zu kämpfen. denn ein kampf bleibt es ja ohnehin. aber diese gewissermaßen über allem schwebende frage nach dem "warum", ausgedehnt auf alles, die treibt mich zumindest auch um. ich finde sie so spannend, das mir keine zeile zu lang zum lesen is, um antwort(en) zu finden. desw. gerne mehr davon..

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  2. http://piercingstattoosanddiets.blogspot.de/ Hey, ich habe mir einen Abnehmblog erstellt, wenn es dich interessiert, würde es mich freuen, wenn du Leser werden würdest. xx

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